Liverpool Musik läuft durch diese Stadt wie Wasser

Liverpool: Musik und die Beatles
Liverpool: Musik und die Beatles

Liverpool hat sich als Zentrum für Kunst und Diversität neu erfunden.

„Sind Beatles-Fans anwesend?“ Die Menge johlt. „Den Let-it-Be-Song kenne ich nicht“, ruft der Sänger seinem Publikum scherzhaft zu. Es folgt ungläubiges Gelächter. Vor der Bühne im bunten Scheinwerferschein stehen Studenten, Touristen und Alteingessene mit grauen Haar, die den Cavern-Club vermutlich seit fünfzig Jahren als eine Art zweites Wohnzimmer betrachten. Es ist Sonntagabend in Liverpool.

Die Stadt am River Mersey ist in der Hand der Beatles-Fans. Im Cavern-Club in der Mathew Street hatte die Band ihre ersten Auftritte, und der Rest ist Geschichte. Sicher ist: Seit den Beatles gehört Musik zu Liverpool wie die Docks und der Fußball. „Musik fließt durch die Stadt wie Wasser“, sagt Kevin McManus von der Dachorganisation Unesco-City of Music.

Seit dem Jahr 2015 ist Liverpool die einzige Stadt Englands mit dem Status einer Unesco-Musikstadt, und allein in diesem Sommer finden in Liverpool mehr als ein halbes Dutzend Musikfestivals statt.

Liverpool: Musik und die Beatles
Liverpool: Musik und die Beatles

In der Nähe des Flussufers befindet sich das Museum British Musical Experience, das wie eine Art Chronik die Entwicklung der britischen Musikindustrie dokumentiert. Hinter Glas hängen die Bühnenoutfits der Spice Girls und die Gitarre von Robbie Williams, dazu Plattencover, Fotos und Infos über Pop und Punk, alles von Scheinwerfern angestrahlt und ausgeleuchtet in poppigen Disco-Farben. Besucher können in einer virtuellen Plattensammlung stöbern oder am Schlagzeug ihre Qualität als Rockmusiker ausprobieren.

Liverpool: Musik und das Beatles-Museum

Es gehört als Tourist gewissermaßen auch zum guten Ton, im Beatles Museum vorbeizuschauen, das sich in den Albert Docks am Flussufer befindet. Doch den meisten Besuchern reichen erst einmal ein kurzer Blick und ein Schnappschuss vor dem Eingang. Die Docks selbst haben so viel zu bieten, dass sie an dieser Stelle sogar den Beatles den Rang ablaufen.

Die Docks formen eine urbane Landschaft aus rostroten Ziegelsteinen. Ein Biotop der Erinnerung. Die industrielle Revolution, das British Empire und der Aufstieg Englands zur führenden See- und Handelsmacht spiegeln sich in den Fenstern. Die Docks sind mit 27 Millionen Besuchern im Jahr die wichtigste Sehenswürdigkeit der Stadt.

Der wohl prominenteste Abschnitt des gesamten Komplexes sind dabei wohl die Albert Docks. Sie wurden zwischen 1841 und 1846 gebaut und leiten ihren Namen von Prinz Albert ab, dem Ehemann von Queen Victoria, der sie einst eröffnete.

Etwas weiter flußabwärts befindet sich die Tate Liverpool, Ableger der Londoner Tate Gallery. Es wird moderne Kunst gezeigt, die man nicht unbedingt verstehen muss. Es reicht, das Zusammenspiel von Kunst und dem überdimensionalen Innenraum der alten Lagerhallen auf sich wirken zu lassen.

Die Aneinanderreihung von Lagerhallen und Fabrikanlagen, Unterkünften für die Arbeiter und Warenlagern entlang des River Mersey hat eine Länge von insgesamt zehn Kilometern.

Nach dem Niedergang der Schifffahrt in Liverpool verfielen viele Docks jedoch zunächst zur Brache. Seit rund fünfzehn Jahren sind sie nun erneut der Ort, der zum wirtschaftlichen Wohlstand der Stadt beiträgt: Im Jahr 2008 erhielt Liverpool nämlich den offiziellen Titel der europäischen Kulturhauptstadt, und schon im Vorfeld wurde offensichtlich, dass die Infrastruktur nicht ausreichte, um diesem Titel gerecht zu werden.

Liverpool: Musik in den Docks

Die Stadt nutzte die Gelegenheit, um Teile der Docks umzugestalten und danach als Festival- und Musikmetropole neu durchzustarten. Das sichtbarste Zeichen dieses Neubeginns ist die Konzertarena M&S, die nun auf dem Gelände der King´s Docks liegt wie eine gestrandete Muschel.

„Das Jahr 2008 hat alles verändert“, sagt auch Paul Duhaney mit Blick auf die Infrastrukturmaßnahmen rund um die Kulturhauptstadt Liverpool in 2008. Paul kommt ursprünglich aus London, doch in seiner Heimatstadt hätte er seine Vision von einem kostenfreien Festival für afrikanischen Musik nie verwirklichen können.

„Am Anfang kamen einige hundert Besucher zu den Konzerten, mittlerweile sind es 40.000 Besucher am Tag“, sagt Paul. Weil die wenigen Festivaltage nicht ausreichen, um die vielen Künstler zu präsentieren und die Kontakte zu pflegen, die Paul im Laufe der Jahren gesammelt hat, ist das Festival längst über die Ränder des zeitlich eng begrenzten Formates hinaus geschwappt und ergießt sich nun beispielsweise in Form von Workshops in die Schulen der Stadt.

Das Africa Oye von Paul Duhaney ist beileibe nicht das einzige Festival in diesem Sommer. Es gibt unter anderem die Internationale Beatles Woche im August, ein Indie-Pop-Festival sowie ein Wochenende mit brasilianischer Samba-Musik.

Die europaweit am meisten beobachtete Veranstaltung allerdings fand im Jahr 2021 statt: ein Konzert mit 3000 Teilnehmern und ohne Corona-Maske. Es war nach der langen Zeit des Lockdowns ein Test besonderer Güte. Die wissenschaftliche Auswertung des Infektionsgeschehens an diesem Abend sorgte international für Aufmerksamkeit und beeinflusste die Lockdown-Politik in verschiedenen Ländern.

Die Aktion untermauerte den Ruf, dass die Musikstadt Liverpool bereit ist, Neues auszuprobieren und mitunter Risiken einzugehen. „Wir nehmen Musik sehr ernst“, sagt Kevin McManus von Unesco-City of Music.

Wie bereits das Jahr 2008 gilt nun der Sommer 2023 als weiterer, wichtiger Meilenstein für die Stadt. Die Ausrichtung des Eurovision Song Contests werde die Stadt erneut in den Mittelpunkt rücken, sagte Claire McColgan von Culture Liverpool. Dabei schaut sie nach vorne: „Statt der Beatles tritt hier eine neue Generation an.“

Liverpool: Musik und die alternative Szene

Im nördlichen Anschnitt der Docks, einige hundert Meter flussaufwärts, ist von Touristenattraktionen und urbanen Landschaften nichts zu sehen. Sam Crombie steht am Fenster und schaut aufs Wasser.

Gemeinsam mit anderen Künstlern ist er in die leer stehende Produktionshalle einer ehemaligen Windturbinen-Fabrik gezogen. Im alternativen Kulturzentrum „Invisible Wind Factory“ finden Konzerte statt, und in den oberen Stockwerken haben sich Künstler und andere Kreative kleine Studios eingerichtet. Sam ist Musiker, und seine Band heißt Dogshow.

Durch breite Industriefenster fällt das Sonnenlicht in eine Gemeinschaftsküche. Notenblätter hängen am Tresen. Der Geruch von indischem Curry liegt in der Luft. Sam deutet auf ein Brachland, eine große, leere Fläche. Sie liegt zwischen der Windturbinenhalle und dem Fluss und sieht aus dem vierten Stock des ehemaligen Fabrikgeländes so flach und weiß aus wie ein leeres Blatt Papier, das nur darauf wartet, dass jemand dort seine Vision von einem neuen Stadtteil niederschreibt.

Die Musiker machen sich Gedanken über die Veränderungen in dem Viertel und wie es sein wird, wenn dieser Abschnitt der Docks besser mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbar ist und sich immer mehr Firmen rund um die Windturbinen-Fabrik ansiedeln.

In nördlicher Richtung ist von weitem die Tobacco Factory aus dem Jahr 1900 zu sehen, das größte Backsteingebäude der Welt mit einer Grundfläche von 15 Hektar. Hier sollen neue Wohnungen entstehen.

Sam hat erlebt wie es ist, wenn die Mieten steigen und sich die Kreativen wieder einmal eine neue Bleibe suchen müssen. „Wir sind schon in der Vergangenheit zum Opfer der Gentrifizierung geworden“, sagt er. Doch dieses Mal könnte es anders kommen: „Die Stadtverwaltung steht hinter unserem Projekt“, sagt Sam. Wäre das der Fall, könnte man tatsächlich sagen: In Liverpool nimmt man Musik eben ernst.

Liverpool: Musik und die Beatles
Liverpool: Musik und die Beatles

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